Hubertus GOJOWCZYK (Krefeld)

»Im Bücherkreis«GOJOWCZYK.

Typographien. Bilder. Lesemappen.

Bereits vor 40 Jahren zog der Krefelder Künstler Hubertus Gojowczyk die Aufmerksamkeit der internationalen Kunstkritik auf seine Arbeiten. Zur Teilnahme an der renommierten Kasseler documenta-Ausstellung eingeladen, stellte er 1972 erstmals seine Aufsehen erregenden „Buch-Objekte“ vor; auf der documenta 1977 installierte er vor Ort eine „Tür zum Lesezimmer“, für die er den Durchgang zu einem der Ausstellungssäle mit Büchern und grobem Mörtel zugemauert hatte.

Buch-Objekte

Die Mehrzahl seiner Objekte geht von einzelnen Büchern aus, die ausgehöhlt oder durchlöchert, zum „Buch-Laib“ umgefaltet, bemalt oder mit Sinn gebenden Zusätzen versehen werden. So entstehen sehr eigenwillige und vielschichtige Skulpturen, mal irritierende, mal mehr poetische Arrangements, die oft auf die Inhalte der jeweiligen Bücher Bezug nehmen. Die Titel dieser „Buch-Objekte“ sprechen für sich: „Brandbuch“, „Buch mit Nest“, „Buch mit Wunde“, „Federbuch“ usw. All diese Arbeiten besitzen große ästhetische Sinnlichkeit; die unkonventionellen Zusätze und Verbindungen mit „buchfremden“ Gegenständen erzeugen Mehrdeutigkeit und Überraschungen; diese freilich immer auf erhellende Weise, die Intellekt und bisheriges Wissen auf noch nie bedachte Bedeutungen lenkt oder die Wahrnehmung lustvoll erweitert. Die Art, wie Hubertus Gojowczyk selbst prachtvolle Bücher als Material seiner Werke verwendet, sie dafür vermauert, zerhackt oder anzündet, müsste für Bücherfreunde eigentlich als höchst barbarisch erscheinen. Aber es gibt wohl kaum einen zweiten Künstler, dessen Schaffen so intensiv und respektvoll um das geschriebene und gedruckte Wort kreist und dem Buch als Kulturgut verpflichtet ist.

Gutenberg’ische Welt

Viele Arbeiten Gojowczyks sind ganz eindeutig als vehemente Verteidigung der „Gutenberg’ischen Welt“ zu interpretieren. Tatsächlich zerstört H. Gojowczyk keine Bücher; er macht sie als Material für seine Plas-tiken nutzbar, nimmt ihnen ihre Alltäglichkeit und normale Funktion und adelt sie durch seine Kunst, in der sie, künstlerisch verwandelt, als konkrete Gegenstände wie als generelles Thema im Zentrum stehen. Nicht zuletzt deswegen laden ihn Literaturmuseen und die berühmtesten Bibliotheken ein, seine „Buch-Objekte“ bei ihnen auszustellen oder neue für sie zu gestalten (so etwa die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel oder die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig und Frankfurt a.M.). Für Hubertus Gojowczyk sind Bücher nicht bloße Wortspeicher. Sie versammeln Jahrtausende altes Weltwissen, Sprache und Literatur, kritisches Nachdenken wie Phantasie und Träume. Schon die Titel, die Gojowczyk für seine „Buch-Objekte“ entwirft, spielen mit Sprache, wirken wie kurze Essays oder Appelle.

Lesemappen

In seinen so genannten „Lesemappen“ und „Schriftstellereien“, einem anderen großen Werkbereich, stehen Typographie und Grafik ebenso im Mittelpunkt wie Sprachspiel, hintergründige Ironie und Kritik. Hierbei handelt es sich um grafische Blätter, bei denen Gojowczyk sowohl mit Schrift und Druckanordnungen als auch mit den Textinhalten und ihren Aussagen spielt und sie – optisch verfremdet oder verstärkt – humorvoll pointiert, manchmal – grafisch wie inhaltlich – bis an die Grenze der Wahrnehmung führt. Eine dieser „Lesemappen“ (die von 1984) kam im Welchenhausener Museum ebenfalls zur Ausstellung.

Bücher-Kreise

Seine fortwährende Beschäftigung mit dem „Kosmos der Bücher“ hat den Künstler seit zwanzig Jahren zu den „Arbeiten auf Zeit“ geführt; so nennt er die temporären Installationen („Bücher-Kreise“, „Bücher-Felder“, „Buch-Labyrinthe“), bei denen er, angelehnt an die Steinkreise der englischen Land-art-Künstlerin Grey Wethers, aberhunderte Bücher in Parks oder Gartenausstellungen zu Mustern anordnet, in Kontrast zu Natur und Gebäuden. Oder er zieht labyrinthische Spuren aneinander gereihter Buchseiten über Schaufensterscheiben. Ob es dabei um die Unsicherheit unseres Wissen oder die Bedrohung der Bücherwelt durch die elektronischen Medien geht, mag der Betrachter selber entscheiden. Anfängliches Betrachter-Befremden wird stets von„Überraschung durch Schönheit“ begleitet. Die Zwiesprache, die Natur oder Architektur mit den Buch-Installationen führen, animieren, sich darin einzumischen, das heißt auch, sich auf die gedanklich weit gespannte und hohen künstlerischen Vorstellungen Gojowczyks einzulassen.