Sommer 2012
THEODOR WIESEN
»totems & phantome«
„Mit meiner Kunst wollte ich in erster Linie die Gespenster und Dämonen meiner Kindheit bannen…“ So charakterisierte einst Theodor Wiesen seine Arbeit als Künstler. Anfangs stellte er riesenhafte Skulpturen um sein Haus und das Sägewerk, das er betrieb. Das Material lieferte der Wald; Form und Gestalt der Figuren gaben ihm die Fichtenstämme vor, die in der Säge für Bretter & Balken nicht taugten. Aber sein Auge sah, noch bevor er zum Schnitzwerkzeug griff, darin die seltsamen Wesen, die er als Künstler zum Leben erweckte. Über den Zaun, der sein Gelände umschloss, ließ er Hexen und Kobolde tanzen; Baumwurzeln gaben diesen Dämonen ihre fratzenhaften Gesichter. „Meine Kunst ist ganz einfach; ich hole ja eigentlich nur aus all den Hölzern heraus, “ – sagte Wiesen – „was da verborgen schon drinsteckt!“ Auch in sehr vielen seiner Gemälde tummeln sich Bestien, Unholde, Nachtvögel, Schattengestalten. Das ist die eine Seite des Werks, das Theodor Wiesen intensiv erst, als er 60 war, anging und danach – fast wie besessen – während seines letzten Lebensdrittels rund dreißig Jahre weiter vorantrieb…
Allerdings sind seine Bilder oft auch witzig und heiter; deren Inhalte Clowns oder Blumen; in eins dieser Bilder (da ist er 74 Jahre alt) setzt er die Verse: „Ein Buch / Ein Tuch / Ein Drachen / Oder nur etwas zum Lachen?“ Jedenfalls war das „Wiesen-Haus“, bunt bemalt (Ziegel für Ziegel; ornamentiv), für alle Kinder stets ein Erlebnis; sie baten den Vater, langsam im Auto daran vorbeizufahren. Möglicherweise dachten Erwachsene manchmal, im Stillen: Da ist das Haus des Verrückten. Wie dem auch sei: Theo/Theodor Wiesen war in allem ein fröhlicher Mensch…
International berühmt wurde der Autodidakt erst nach seinem Tod 1999. Seine gigantischen Holz-Skulpturen stehen inzwischen in Frankreich im berühmten Museum für moderne Kunst in Lille. Als besonderes Prunkstück zeigt man dort u. a. den zwölf Meter langen Zaun, den er mit geschnitzten Dämonen, Hexen und Teufeln oder seltsamen Waldwesen bestückte. Sein malerisches Werk ist zwar auf den ersten Blick farbenfroh-heiter, doch auch darin tauchen immer wieder dunkle Phantome auf oder es wachsen befremdliche Schattengestalten aus den nächtlichen Wäldern.
Theodor Wiesen, 1906 in Welchenhausen geboren, arbeitete die meiste Zeit als Besitzer einer Sägerei im benachbarten Ostbelgien. Erst ab der zweiten Lebenshälfte intensivierte er seine künstlerische Tätigkeit und schuf wie besessen seine außergewöhnlichen Gemälde und Plastiken. Sein Werk wird der so genannten „Art brut“ zugerechnet. Deren Künstler orientieren sich weder an bekannten Stilrichtungen noch am herrschenden Kunstbetrieb, sondern sie folgen, eigenwillig und obsessiv, ihren Phantasien. In einem Bericht über seine Kindheit schrieb Wiesen, wie sehr ihn die Vorstellung von bösen Geistern beängstigt hatten und dass eine Nachbarsfrau, selber als Hexe verschrien, ihn zu trösten versuchte: „Sie zeigte mir, wie sich die Hecken und Sträucher im Mondlicht bewegten. Da war ein Bär, da Rotkäppchen mit dem Wolf und noch viele andere Gestalten; aber sie sagte mir, dass sind ganz lustige Kobolde; die tun keinem Kind was zuleide.“
Wie stark diese frühen kindlichen Urängste Theodor Wiesens späteres Werk mitbestimmt haben, lässt sich womöglich daran ermessen, dass stets ein zwiespältiger Grundton – teils sehr beängstigend, teilweise heiter-befreiend – all seine Arbeiten durchzieht. Dieser Doppelton kommt ganz ausdrücklich in den Wandgemälden in seinem früheren Haus zum Vorschein. Diese Fresken stehen in der jetzigen Ausstellung im Welchenhausener Museum im Vordergrund; dort werden sie, in Großaufnahmen wie in Detailstudien, zum ersten Mal in der Öffentlichkeit präsentiert.
„Bin wohl etwas zu früh auf die Welt gekommen“, schrieb Theodor Wiesen: „Im Jahr 1906 in Welchenhausen, das auf kaum einer Landkarte zu finden ist. Geistig behindert, Herz und Körper schwach; man gab mir keine lange Lebenserwartung.“ Mit der Ausstellung in der „wArtehalle“ kehrt nun der posthum berühmt gewordene Künstler indirekt an seinen Geburtsort zurück. Die Ausstellung dokumentiert das Leben und Schaffen Theodor Wiesens mit exemplarischen Stücken; darunter zum Beispiel erste Gemälde, ein Ensemble beschnitzter Eichenpfähle, Bilder der Wand-Fresken aus dem „Wiesen-Haus“ sowie Werke aus dem Privatbesitz seiner Erben.
Insgesamt ist die Ausstellung eine Hommage und Würdigung des Art-brut-Künstlers Wiesen, der in seiner Bedeutung (im Unterschied zu Belgien, Frankreich, der Schweiz usw.) in Deutschland bisher kaum wahrgenommen worden ist. Zur dauerhaften Ehrung wird deshalb bei der Vernissage die Ortsmitte von Welchenhausen – in Anwesenheit der Bürgermeister Andreas Kruppert (VG Arzfeld) und Patrick Bormann (OG Lützkampen) – in „Theodor-Wiesen-Platz“ umbenannt werden.
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