HANÍNGA THIEL: ver_orten
eine Rauminstallation
2. Juli bis 22. Oktober 2016
Was führt Mensch und Ort zusammen?
Was macht den Ort, an dem man lebt, aus?
Was bedeutet er für seine Bewohner?
Fragen, denen Hanínga Thiel in der Sommerausstellung 2016 der wArtehalle Welchenhausen mit Ihrer Rauminstallation nachspürt.
Deren Titel: „ver_orten“. Verortung von Menschen steht im Zusammenhang mit Identität, Heimat und Fremde.
Hanínga Thiel: „Dabei ist nicht unbedingt eine Nation gemeint, sondern ein lokales Verwurzelt sein, Vertrautheit mit anderen Menschen, einem Verein oder auch mit örtlichen Gepflogenheiten, Landschaft oder Geschichte.“
Neu-Verortung – aktuell Dauerthema in den Medien: ungezählte Menschen sind derzeit unterwegs auf der Suche nach neuen Orten. Das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem vertrauten Ort wird aus vielerlei Gründen zugunsten eines neu zu entstehenden aufgegeben, nicht nur in globalen Dimensionen, auch im Kleinen: vom Ballungsraum ins abgelegene Dorf, von der Provinz in die „weite Welt“ der Großstadt und u.U. auch wieder zurück.
Was macht das Leben in einem Dorf mit 28 Einwohnern, weitab vom pulsierenden Leben der großen Städte attraktiv, erstrebenswert – aushaltbar? Hanínga Thiel gibt keine Antworten, sondern lässt die Einwohner selbst zu Wort kommen: Ihre Statements sind integraler Bestandteil der Installation. Parabelartig erweitern ihre durch „ver_orten“ abgelaufenen Schuhe die Installation in den Außenbereich der wArtehalle.
Den Gästen der Vernissage erläuterte Hanínga Thiel ihre Arbeitsweise wie folgt:
„Die Wahl eines Themas erwächst u.a. aus meinem eigenen Interesse an – wie in diesem Fall – aktuellen sozialen Ereignissen. Wir wissen alle über die Menschen, die von weit her unter großen Schwierigkeiten zu uns kommen, darüber muss ich nichts erzählen. Aber diese Thematik überschneidet sich mit eigenen Befindlichkeiten.
Meine Eltern kamen nach Kriegsende als Geflüchtete aus dem Osten. Ich weiß aus eigener, ganz direkter Wahrnehmung, wie Menschen von einem solchen Ereignis geprägt sind und nachhaltig bleiben. Wie schwierig es war, sich neu zu verorten, weil die Heimat eben immer noch daneben stand. Sie konnten nie darüber sprechen (wie wir Kinder es uns gewünscht hätten), weil es einfach schrecklich weh tat. Es hat gedauert, bis wir erwachsen waren, dass unsere Eltern sich einem neuen Ort zugehörig fühlten.
Es gibt auch diejenigen, die sich aus eigenem Antrieb aufmachen, die einem Ort vielleicht mehr oder weniger zufällig begegnen, oder auch der Ort ihnen. Zitat: „ Als ich nach Welchenhausen kam und die Aussicht sah, da war mir klar: Hier sollst du wohnen!“ „Sollst“, nicht: „willst“ – das ist ein Unterschied, fast wie eine Bestimmung.
Und dann diejenigen, die in einen Ort hineingeboren werden und ihr Leben lang in „ihrem“ Ort bleiben, sich dort verwurzelt fühlen und dies auch gut und richtig finden – oder fortgehen und doch später wiederkehren, oft die eigenen Wurzeln wiederfinden.
Am Anfang meiner Arbeit stehen dann solche nachvollziehbaren Denkwege. Ich recherchiere, um mich umfassend zu informieren, um Hintergründe und Realitäten zu erfahren. Früher geschah dies in Bibliotheken, heute im Computer. So habe ich z.B. ein wichtiges Detail erfahren, das als Symbol in diese Installation Eingang gefunden hat: Ganz viele der Geflüchteten tragen fast als wertvollsten Besitz ihren Hausschlüssel mit sich. Ein Symbol dafür, dass sie wiederkehren in die Heimat, in ihr Zuhause.
Im Weiteren trage ich entsprechende Materialien zusammen, die entweder in meinem Fundus enthalten sind oder neu hinzukommen. Und hier, während der ganz praktischen Arbeit, verlassen mich teilweise diese nachvollziehbaren Denkwege, der Kopf gerät in den Hintergrund, es kommen die assoziativen Sprünge querfeldein. Da passiert ganz viel, das auch mit Zeichen zu tun hat, die schon lesbar sein sollen. Aber dies geschieht intuitiv, vielleicht aus einem kollektiven Gedächtnis heraus. In der Bewegung in einer Zone der Ausschließlichkeit entsteht die Poesie, die nur ohne den Kopf ihren Ausdruck finden kann.
Wäre dies nicht so, käme am Ende nur ein Slogan heraus, eine erhobene Faust, ein Plakat.“
Hanínga Thiel
geboren 1948 in Bad Harzburg
1964-1971 Studien Malerei/Bildhauerei und Keramik-Design
1972-1994 Street Art im europäischen Raum, gleichzeitig eigene Ateliers in Schweden, Südwestdeutschland und Hamburg
1994-2004 Atelier in Corrales, New Mexico, USA
2004 Rückkehr nach Deutschland
seit 2005 Atelier im Wendland
www.haningathiel.de
hthielnm@hotmail.com
Zeitgleich stellt Hanínga Thiel unter dem Titel „RETROACTIVE“ ihre Malerei im Kulturhaus Burg Reuland aus.